Ursache und Wirkung in COVID-19 Zeiten
Wie viele andere Dienstleister schauen wir auf eine Welt, wie wir sie vor zwei Wochen nicht für m?glich gehalten haben. Eine solche Form von Stillstand war für mich nicht einmal beim Betrachten der Bilder aus Wuhan im Februar hier vorstellbar. Noch vor einer Woche, zurückkehrend von der Mecklenburg-Vorpommerschen Einsamkeit, habe ich nicht erkannt, dass wir kurz vor einer Ausgangssperre stehen.
Innerhalb der letzten Woche ist nun kein Stein auf dem anderen geblieben. Die Projekte gecancelt, auf unbestimmt verschoben - im besten Fall noch virtualisiert. Wo man auch hinh?rt, die Lage ist bei fast allen Partnern, Kunden, Dienstleistern ?hnlich - ein paar Krisengewinner ausgenommen.
Wie Unternehmen in diesen Zeiten mit der Situation umgehen, ist t?glicher Beobachtungsgegenstand bei uns daheim. Richtig beurteilen werden wir dies erst nach einiger Zeit und mit weniger pers?nlicher Betroffenheit k?nnen.
Ein Projektstopp, den wir heute diskutierten, brachte uns wieder einmal zurück zum Cynefin Modell von Dave Snowden. Wir nutzen das Modell oft, um die Handlungsr?ume, in denen sich Unternehmen befinden, den Entscheidern in unseren Workshops zu verdeutlichen und die Handlungsoptionen herauszuarbeiten.
- In der einfachen Welt sind Ursache und Wirkung für alle offensichtlich, es gibt wiederholbare Muster und eindeutige Ereignisse. Es gibt - und das liebt der Manager - richtige Antworten. In dieser Welt funktionieren klare Hierarchien, Befehlsketten, Stellenbeschreibungen, Command & Control. Alle Probleme sind nur ein Fehler im Prozess.
- In der komplizierten Welt gibt es immer noch Ursache-Wirkungs-Zusammenh?nge, sie sind nur nicht sofort erkennbar. Manchmal gibt es mehr als eine richtige Antwort. Aber es gilt: Jedes Problem ist mit ausreichend Zeit, Budget und einem Haufen Experten in meinem Netzwerk l?sbar.
- In der komplexen Welt ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung nur im Nachhinein wahrnehmbar. In der Situation selbst ist alles im Flu? und nichts vorhersehbar. Es gibt keine richtigen Antworten, aber man kann Orientierungsmuster finden. In diesem Handlungsfeld sind Experimente gefragt, man muss Dinge ausprobieren, Reaktionsmuster erkennen, Reaktionen darauf aufbauen. Kreativie und innovative Ans?tze sind notwendige, es braucht da, worüber wir in der VUCA Welt so oft reden: Agile Methoden, Diversit?t, Mut zu Experimenten, Fehlerkultur.
- In der chaotischen Welt gibt es hohe Turbulenzen, es gibt keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen innerhalb meines Systems. In dieser Situation müssen unter Zeitdruck schnelle Entscheidungen gef?llt werden, die die Situation wieder beherrschbar machen. Handeln ist die oberste Maxime.
Auf der rechten Seite befinden wir uns in der vorhersehbaren Welt, auf der linken Seite in der nicht vorhersehbaren Welt. Wir gehen davon aus, dass sich unsere Handlungsfelder immer mehr in die linke H?lfte verschieben. Einfache Situationen, Regelabweichungen in der vorhersehbaren Welt werden von Algorithmen übernommen, komplizierte Entscheidungen werden immer zuverl?ssiger mit einem Netzwerk von Experten silo-, unternehmens-, branchenübergreifend gel?st. So zumindest die ideale Vorstellung. Die Herausforderung der VUCA Welt sind die nicht vorhersehbaren Ereignisse, handeln im komplexen Umfeld wird entscheidender Wettbewerbsvorteil. Und die schwarzen Schw?ne werden mehr.
Die Schnappreflexe der Old Economy
Aber kommen wir zurück auf eine typische Situation bei einem unserer Kunden in dieser Woche: Das gesamte Lernprogramm für die vernetzte Arbeitswelt wird eingefroren. Sofort. Warum? ?Es darf nicht der Eindruck entstehen, wir hielten die Leute vom einzig richtigen Fokus ab: Sicherstellung der Leistungserbringung.“ Tausende Mitarbeiter sind schon ins Homeoffice geschickt worden, Standorte sind geschlossen. Der oberste Unternehmenslenker übernimmt das Kommando des Krisenstabes, ab jetzt wird wieder geführt. ?Wir befinden uns wieder im Cynefin Quadranten wieder unten rechts“ so verlautet es aus der Zentrale.
Ist das tats?chlich so? Wir spürten schon deutliche Bremsspuren in den Wochen und Monaten davor. Wenn die Automobilindustrie fiebert, dann bekommen zahlreiche Unternehmen schnupfen. Aber: Die Gründe waren tats?chlich noch relativ simpel, der Umsatzrückgang führte tats?chlich zu alten Schnappreflexen. Winfried Felser wetterte zurecht gegen den Rollback in die alte Effizienz Logik. Er will den Aufbruch der Vielen -und wir stimmten alle ein in den Chor. In den Situationen von Budget-Kürzungen, Abschaffung der Transformationsteams oder Einstampfen der Digital-Initiativen w?hnten sich viele Manager vermutlich wirklich ?unten rechts“, und die Ma?nahmen waren klar: #NewWork mit all seinen Kickertischen und vollb?rtigen Laborbewohnern in Berlin ist jetzt vorbei, jetzt wird der Gürtel enger geschnallt und mal wieder richtig gearbeitet.
Corona ?ndert alles
Und dann kam Corona und mit dem Virus etwas, was wir so noch nie erlebt haben. Ein Einschnitt, wie es ihn, so die Kanzlerin vor ein paar Tagen, nicht gegeben hat seit dem Krieg. Und ich fürchte, sie hat recht. Die Welt wie wir sie kennen, wird es morgen nicht mehr geben. Wenn jetzt also, im Zeichen dieser Umw?lzung, Manager entscheiden als w?ren sie in einer einfachen Welt, dann kann dies fatal sein. Die alte Logik lautet: ?Wir konzentrieren uns auf die Kernprozesse, führen diese exzellent aus und h?ren auf, links und rechts des Weges nach neuen L?sungen zu suchen - das lenkt nur ab“ Die Annahme: Physische Distanz und Zeit wird es schon richten, ich sorge jetzt also per Dekret für Abstand und ordne prozesstreue Aufgabenerfüllung an.
Falscher Glaube an Beherrschbarkeit
Aber: Es gibt gerade jetzt keine Aufgaben für diese Mitarbeiter zu erfüllen. Die Menschen haben zudem oft noch NIE von zu Hause aus gearbeitet. Viel schlimmer noch: In zahlreichen Unternehmen gibt es nicht einmal eine leistungsf?hige Infrastruktur, die verteiltes Arbeiten erm?glicht. Da wurde noch bis vor kurzem darüber diskutiert, welche Ausstattung der Heimarbeitsplatz haben muss, wie das zu dokumentieren ist und wer überhaupt einen Anspruch darauf haben kann. Und bevor es nach jahrelanger Diskussion zu einer Einigung kommt, nimmt einem der Virus die Entscheidung ab. Alle, einfach alle gehen nach Hause. Und dort schütteln sich die Mitarbeiter leider nicht nur kurz und gehen zur virtuellen Tagesordnung über. Denn nur in unserer kleinen, sehr lauten Filterblase ist verteiltes Arbeiten die Regel. Wenn wir jetzt also Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ungeübt mit virtuellen Kollaborationsl?sungen, sofern es sie überhaupt technische ausreichend gibt im Unternehmen, daheim mit zu betreuenden Kindern verordnen, ihre Arbeit mindestens genau so zu erledigen wie sie es vom Arbeitsplatz aus getan haben, ist das eine Illusion.
Es ist vermutlich dieser Glaube des klassischen Managers an die Beherrschbarkeit der Situation. Es braucht einen starken Führer in einer kritischen Situation, und klare Regeln und Prozesse geben ?meinen“ Leuten halt.
Zurück zu Dave Snowden: Es mag in chaotischen Situationen richtig sein, dass wir einen starken Mann brauchen, einen, der klare Entscheidungen f?llt und das Unternehmen in eine Situation zurückführt, die beherrschbar ist. Das bedeutet aber aktuell: Wir müssen die chaotische Situation zurückführen in den komplexen Handlungsrahmen. Eine Abkürzung zurück in die einfache Welt gibt es für allermeisten Unternehmen nicht mehr. Manager sind zwar auf diese Welt trainiert worden, aber sie müssen heute in einer komplexen Welt führen. Wer das nicht sieht, trifft fatale Entscheidungen und gef?hrdet die Zukunft seines Unternehmens, der Mitarbeiter, ja vielleicht sogar in systemkritischen Bereichen die Zukunft unserer Gesellschaft.
W?hrend der Entscheider sich also nach wie vor in der ?vorhersehbaren“ Welt w?hnt, wird die Situation für seine Organisation immer schwerer beherrschbar. Denn wie soll sich eine Organisation adaptieren auf eine aus den Fugen geratene Welt, die sich neu finden muss, in der bald andere Regeln gelten k?nnten, wenn man nicht neue Netzwerke aufbaut, Experimente wagt, in kurzen iterativen Zyklen neues entwickelt? Was werden die Folgen sein, wenn ich den Mitarbeitern nicht zutraue, selbst Lernzeit einzuplanen, mit Kollegen sich neue Kompetenzen anzueignen - und zwar auch ohne explizit den Chef um eine Stunde Lernzeit zu bitten? Was, wenn die gr??te Furcht des Managers ist, dass seine Mitarbeiter im Homeoffice nicht 8 Stunden arbeiten? Nein, das werden sie nicht. Das tun sie übrigens auch nicht am Arbeitsplatz. Und in einer Welt, in der pl?tzlich kein Stein auf dem anderen steht so wie wir es gewohnt waren, in der Verwandte Hilfe brauchen und Kinder Betreuung ben?tigen, ist das auch kaum zu erwarten.
Bastian Buch, guter Freund und seines Zeichens Director Engineering bei Omio, schrieb heute in diesem Post:
?Our task now is not making sure everyone really works 8 or more hours by setting up an even tighter control regime. Our task is to create as much psychological safety, belonging, hope, optimism, flexibility, listening, and connection as possible.“
Es w?re wunderbar, wenn die Entscheider, die heute sicher aus guten Gründen leider falsche Weichen stellen, kurz innehalten und prüfen, welche Schritte es wirklich braucht, um die Zukunft der Organisation und ihrer Mitglieder zu sichern.
Gemeinsam Erfolge durch ?kosysteme schaffen.
4 年Lieber Alexander Kluge, was für ein wichtiger Beitrag von Dir gerade zur rechten Zeit! In den ersten Krisenreaktionen muss man auf die bekannte (Krisen)hierarchie (Ikone: Dom!) setzen, um schnell die Schotten dicht zu kriegen und Sofort-Ma?nahmen zentral zu koordinieren und umsetzen zu lassen. Dann aber gilt es für eine neue Zukunftsf?higkeit alle Potenziale zu mobilisieren und für neue Erfolge neu zu orchestrieren. Dabei müssen wir aber deutlich mehr auf Selbstorganisation und Leadership / Entrepreneurship everywhere setzen (Ikone: Domes / Zelte), damit der breite Wandel in Richtung Zukunft gelingt - daran glaube ich jedenfalls. Mit Gunnar Sohn hatten wir dazu einen Talk, eigentlich h?tten wir diesen Talk nach Deinem Beitrag machen sollen. Ich hoffe, dass die Zeit der innovativen Konzepte (#FLEAT Thorsten Schaar, #Rebuilding Marc Wagner, #RückkehrKonzerne Lucas Sauberschwarz ...) daher noch kommt, wenn die Wunden geleckt sind.
Mal angenommen Sie w?ren erfolgreich- woran würden Sie das erkennen?
4 年Wunderbarer Text, Alexander. Aus meinem Blick, in dem Unternehmen für das ich arbeite, wird die komplexe Welt gesehen und teilweise gelebt. Es gibt einen Krisenstab. Hin und wieder driftet es ins Chaos ab was einige Menschen dazu verleitet wieder nach DER starken Pers?nlichkeit zu suchen, die die Probleme l?st.... also Schnappatmung der alten Generation. (...und die young Generation l?sst (noch) Eigenverantwortung und Haltung vermissen) Daran gilt es zu arbeiten.
Wer FMo nicht kennt, hat die Welt "verpennt"
4 年Sehr gut - wieviel % werden sich diesem Denkprozess anschlie?en? / wollen / k?nnen?
?? Curious Human: ?? Collaboration, ?? Relationships, ?? Transformation, ?? Strategy, ?? Hypnosystemic Coaching - ?? macolo.de
4 年Danke Alexander für den Artikel. Cynefin von Dave ist ein wirklich erstklassiges Model. Viele denken wirklich zur Zeit im Clear / ehemals Obvious (rechts unten zu sein). In Wirklichkeit ist es aber viel schlimmer, denn sie sind in der Mitte der Disorder. Das heisst, sie wissen garnicht wo sie sind und reagieren mit einem Mix von komplett unangemessenen Vorgehensweisen.?
success by humanity
4 年A inspiration - thanks