In Grossbritannien kollidieren Wachstums-Mantras mit den Netto-Null-Klimazielen – und das unter einer linken Regierung
Das Ende naht: Die Erd?lproduktion war jahrzehntelang ein grosser Arbeitgeber und eine wichtige Geldquelle für die Regierung. Quelle: Getty Images

In Grossbritannien kollidieren Wachstums-Mantras mit den Netto-Null-Klimazielen – und das unter einer linken Regierung

In Grossbritannien werden wohl auch künftig neue Erd?l- und Gasvorkommen gef?rdert. Und das ausgerechnet unter einer Labour-Regierung, die sich den Klimaschutz gross auf die Fahne geschrieben hat. Jetzt kocht die Debatte in London über. Denn der Labour-Premierminister Keir Starmer sagte erst vor wenigen Tagen, er stehe Lizenzen für zwei neue Erd?l- und Gasfelder nicht im Wege – trotz richterlichem Beschluss dagegen. Klimaaktivisten sind in Aufruhr. Sie sagen, die Felder würden die Klimaziele untergraben.

Die Episode nimmt eine Debatte vorweg, welche die Klimapolitik zunehmend herausfordern wird: Wie fahren L?nder die Nutzung und die Produktion von fossilen Brennstoffen herunter, ohne den Status quo zu überwerfen, zentrale W?hlergruppen zu verprellen und Wirtschaftsinteressen zu vernachl?ssigen?


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In Grossbritannien kollidieren Wachstums-Mantras mit den Netto-Null-Klimazielen – und das unter einer linken Regierung

Die Erd?lproduktion war jahrzehntelang ein grosser Arbeitgeber und eine wichtige Geldquelle für die Regierung. Nun werden immer mehr Felder stillgelegt, unter anderem Brent.Ian Forsyth / Getty Images Europe

Die Zukunft der ?l- und Gasproduktion in der Nordsee vor der Küste Schottlands spaltet die regierende Labour-Partei – und unterstreicht eines der zentralen Dilemmas der Energiewende. Wie viel ?l und Gas vertr?gt das Versprechen, netto null Emissionen zu erreichen? Die Wissenschaft hat eine ziemlich klare Antwort: wenig Erd?l, etwas mehr Erdgas und so gut wie gar keine Kohle.

Im politischen Alltag stellt die Frage jedoch eine Zerreissprobe dar. In Grossbritannien führt das gerade zu einem Drama: Die Klimaziele kollidieren mit dem Ziel, das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen.

Neue Erd?lfelder – und Emissionen

Worum geht es? Die letzte Regierung unter dem Konservativen Rishi Sunak hatte in den Jahren 2022 und 2023 dem Rosebank- und dem Jackdaw-Projekt – unerschlossene Erd?l- und Gasfelder nahe den Shetlandinseln und der schottischen Ostküste in der Nordsee – eine Genehmigung erteilt. Die Betreiber sind das norwegische Staatsunternehmen Equinor und der britisch-niederl?ndische Energiegigant Shell.

Die Genehmigungen wurden Ende Januar jedoch von einem schottischen Gericht wegen der zu erwartenden Emissionen einstweilig aufgehoben. Die Unternehmen müssen sich nun noch einmal bei dem zust?ndigen Regulator, der North Sea Transition Authority, um eine Genehmigung bemühen.

Diesmal werden die Emissionen, die durch das Verbrennen der fossilen Brennstoffe verursacht werden, infolge des Gerichtsbeschlusses mit einbezogen. Grüne Stimmen, aus den Reihen der NGO und der Labour-Partei, fordern nun, dass die Projekte nach dieser neuen Prüfung keine Lizenz mehr erhalten.

Der Richter hat sich auf die Seite der Aktivisten gestellt. ?Das ?ffentliche Interesse am rechtm?ssigen Handeln der Beh?rden und das private Interesse der ?ffentlichkeit am Klimawandel überwiegen das private Interesse der Entwickler?, schrieb er. Für viele britische Umwelt-NGO steht der Streit um die Genehmigungen sinnbildlich für den Kampf gegen die fossilen Brennstoffe in Grossbritannien und darüber hinaus.

?Selbst wenn man alle Klimaargumente beiseiteschiebt, halten wir es für falsch, ?l und Gas in der Nordsee als einen Sektor zu betrachten, der langfristig Wohlstand bringt?, sagte Tessa Khan von der NGO Uplift, welche die Klage gegen das Rosebank-Projekt, das gr?sste noch unerschlossene ?lfeld in der Nordsee, initiiert hatte. ?In den letzten fünfzehn Jahren war der Sektor trotz grosszügigen Steuerregelungen und trotz Bürokratieabbau rückl?ufig. Diese Entwicklung ist unumkehrbar.? Die Felder seien zunehmend ersch?pft, sagte sie.

Das Ende der fossilen ?ra – aber bloss nicht zu schnell

In diesem Punkt hat sie recht. Die ?l- und Gasproduktion ist w?hrend der vergangenen zehn Jahre von 1600 auf 1100 Kilobarrel ?l?quivalent pro Tag zurückgegangen. Die Produktion werde bis 2030 wohl auf 750 Kilobarrel ?l?quivalent pro Tag weiter sinken, so Rahul Choudhary von Rystad Energy. Das Rosebank- und das Jackdaw-Projekt würden im Jahr 2030 rund 10 bis 15 Prozent der Gesamtproduktion des Landes ausmachen.

Gleichzeitig bedeutet das jedoch nicht, dass die ?ra der fossilen Brennstoffe langfristig vorüber ist. Etwa ein Viertel des britischen Energiebedarfs wird laut der Regierung auch 2050 noch durch ?l und Gas gedeckt werden – und das im Szenario eines klimaneutralen Grossbritanniens. Heute bel?uft sich die Abh?ngigkeit von fossilen Brennstoffen bei der Energieversorgung auf rund 72 Prozent – das ist zwar so niedrig wie noch nie, aber immer noch viel.

Dass fossile Brennstoffe weiterhin eine Rolle spielen werden, erkl?rt auch, warum London auf den Sektor setzt – trotz den Klimazielen. Die konservative Regierung argumentierte im Jahr 2023, als sie Hunderte neuer Lizenzen verkündete, so: Die Projekte würden die Energiesicherheit st?rken, die Abh?ngigkeit von ?feindlichen Staaten? verringern und Energiepreise senken – eine Priorit?t, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte. Auch bei der Klimabilanz würde man punkten. So sei der CO2-Fussabdruck geringer, als wenn Flüssigerdgas aus den USA importiert würde.

Die Argumentation unterstrich vor allem das Interesse, noch so lange wie m?glich von der heimischen ?l- und Gasproduktion zu profitieren. Der Sektor ist nicht nur eine Einnahmequelle für den Staat. Er ist weiterhin ein grosser Arbeitgeber. Noch dazu in Schottland konzentriert, wo es noch nicht genügend alternative Arbeitspl?tze durch eine grüne Offshore-Industrie gibt. Es gelte, rund 200?000 Arbeitspl?tze zu schützen, hiess es damals. Die Regierung ergreife Schritte, ?um den raschen Rückgang der heimischen ?l- und Gasproduktion zu verlangsamen?.

Netto-Null-Politik mit ?l und Gas

Damals griff die Labour-Partei noch die konservative Politik an. Ein Vergleich mit Regierungserkl?rungen von Labour zur Frage der künftigen ?l- und Gasproduktion zeigt jedoch, dass sich die Parteien heute kaum in ihren Botschaften unterscheiden. Und das, obwohl Premierminister Keir Starmer die grüne Politik seiner Partei w?hrend des Wahlkampfes hochgespielt hat, inklusive Versprechen, keine neuen Lizenzen auszuh?ndigen.

Denn auch bei Labour liege der Schwerpunkt darauf, ?Stabilit?t für die Industrie zu schaffen, Investitionen zu unterstützen, Arbeitspl?tze zu schützen, wirtschaftliches Wachstum zu f?rdern?, w?hrend man seinen Klimaverpflichtungen nachkomme.

?Wir wissen, dass ?l und Gas noch viele Jahrzehnte lang eine wichtige Rolle spielen werden?, sagte Starmer vergangene Woche gegenüber Sky News. Man müsse den übergang zu sauberer Energie schaffen, sicherlich. Die Genehmigungen für das Rosebank-Projekt und das Jackdaw-Projekt durchliefen nun ein neues Verfahren, so Starmer. Er unterstrich, dass er der Entscheidung nicht vorgreifen werde. Gleichzeitig signalisierte er aber auch, dass er keinen Widerstand leisten wird: ??l und Gas sind Teil des zukünftigen Energiemixes für die n?chsten Jahrzehnte.?

Kritik aus dem grünen Umfeld

Umweltaktivisten protestieren seit Jahren gegen das Rosebank-Projekt. Quelle: Angela Christofilou / Greenpeace / Reuters

Seine Worte kamen bei grünen NGO und Klimaforschern erwartungsgem?ss schlecht an. Am Montag ver?ffentlichte das Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment der London School of Economics einen Kommentar, in dem es die Labour-Regierung davor warnte, dem Druck nachzugeben und die Rosebank- und die Jackdaw-Felder in der Nordsee zu genehmigen.

Eine solche Entscheidung würde den Ruf Grossbritanniens als Vorreiter im Klimaschutz untergraben, schrieb der Kommunikationschef Bob Ward. Das Land war die erste grosse Volkswirtschaft, die sich 2019 verbindlich Netto-Null-Ziele gesetzt hatte (unter einer konservativen Regierung). 2021 verhandelte Grossbritannien dann im Rahmen der Weltklimakonferenz in Glasgow das erste weltweite Versprechen, um aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen.

Gleichwohl br?chten neue Lizenzen viele der heraufbeschworenen Vorteile, ob niedrigere Energiepreise oder die St?rkung der Energiesicherheit, nicht, schreibt Ward vom Grantham Research Institute. Die Entscheidung sende auch noch widersprüchliche Signale zur geplanten Energiewende aus. Grüne Investitionen k?nnten infolgedessen nachlassen.

Die jüngste Kritik wiederholt dabei die Argumente vieler Kritiker nach der Entscheidung von 2023. Der Umweltprüfungs-Ausschuss des Parlaments schrieb schon damals, dass das Rosebank-Projekt von Equinor lokale Energiepreise nicht reduzieren würde. Bei den Reserven handele es sich schliesslich vor allem um ?l und nicht um Gas: ?Und wie bei 80 Prozent des gesamten Nordsee?ls wird der gr?sste Teil davon exportiert werden?, so der Ausschuss. Auch wenn die lokale Produktion hochgefahren werde, habe man keinen Einfluss auf die internationalen Preise. Stattdessen solle die Regierung in den Ausbau grüner Energietechnologien investieren.

Diese Sicht teilte auch der ehemalige konservative Politiker Chris Skidmore. Er warf sogar infolge der Lizenzvergabe das Handtuch und zog sich aus der Regierung zurück. Er war zuvor für eine Untersuchung der Wirtschaftlichkeit von Netto-Null verantwortlich. Der Schlussbericht hielt fest, dass Investitionen in Netto-Null Arbeitspl?tze und Wachstum schaffen würden.

Das Land stehe vor der Entscheidung, ?in die Industrie der Zukunft zu investieren oder sich an die Industrie der Vergangenheit zu binden?, schrieb Skidmore in seinem Rücktrittsschreiben. Niemand habe je behauptet, dass es gar kein ?l und Gas brauchen werde, ?aber die Erschliessung neuer Quellen für fossile Brennstoffe wird nichts zu unserer Energiesicherheit beitragen?.

Knapp zwei Jahre sp?ter zeigt sich, dass es politisch noch immer zu heikel ist, vorwiegend auf die grünen Zukunftsm?rkte zu setzen. Kurzfristig garantieren sie nicht das Wachstum und die Arbeitspl?tze, die Politiker wie Keir Starmer h?nderingend brauchen, um die W?hler bei der Stange zu halten – unabh?ngig von der vagen Zustimmung der Bev?lkerung für den Klimaschutz. Umfragen zeigen immer wieder, dass die Menschen zwar im Prinzip für Klimaauflagen sind, aber nicht, wenn es sie etwas kostet. So gehen auch Analysten und die Unternehmen davon aus, dass die Rosebank- und die Jackdaw-Felder in den kommenden Jahren ihre Produktion aufnehmen werden.

Innerhalb der Labour-Partei rumore es derweil, heisst es aus London. Keir Starmer werde sich wohl einen Kampf mit dem Umweltflügel seiner Partei liefern müssen. Denn auf kurze bis mittlere Sicht ist eines klar: Für machtbewusste Politiker übertrumpft das Wirtschaftswachstum das Klima.


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  • Investitionen in grüne Technologien kamen vergangenes Jahr auf 2,1 Milliarden Dollar, wie neue Zahlen von BNEF zeigen.
  • Die Wachstumstreiber: Elektrofahrzeuge, erneuerbare Energien und Stromnetze sowie Investitionen in Energiespeicher.
  • Die Gesamtinvestitionen in die grünen Technologien erreichten zwar einen neuen Rekord, die Wachstumsrate aber ist im Vergleich zu den Vorjahren gefallen.


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